Kann Reisen langweilen?

[Astrid]

Hallo Micha,

auch ich wollte noch mal etwas zu Deinem Beitrag los werden, vor allem zu Deiner Frage:

Sagt mal ehrlich: Bin ich krank?

Du bist waehrend der letzten Jahre viel unterwegs gewesen, hast viel gesehen und bist vermutlich auch ueber weite Strecken waehrend dieser Zeit mit Deinem Leben zufrieden gewesen ?!

Jetzt reichen Dir Deine vier Waende und Deine allernaechste Nachbarschaft zum wohl fuehlen und verarbeiten...

Das hoert sich in meinen Ohren erst mal weniger krank als vielmehr so an, als waere fuer Dich einfach eine neue Zeit angebrochen / ein neuer Lebensabschnitt erreicht, in dem Du Dich neu orientierst, Prioritaeten neu setzt .

Wenn Du Dich so nicht kennst, koennte es einfach daran liegen, dass Dein Selbstbild nicht mehr mit der Realitaet uebereinstimmt und/oder Du diese Seite an Dir einfach noch nicht kennen gelernt hast... (Was war denn Deine fruehere Meinung ueber "Sesselpubser" oder Menschen, denen die vertraute Heimat am schoensten erschien und fuer die ein Lebensstil wie der Deinige unvorstellbar war - rhetorische Frage ?)

Doch Spass beiseite - sehr haeufig sind neue Lebensabschnitte (Ende des einen / Beginn des anderen) von voruebergehenden "depressiven Verstimmungen" begleitet, die bei naeherer Betrachtung ein Sammelsurium von Gefuehlen darstellen.

Ein Bild, das mir dabei in den Sinn kommt, ist das von zu klein gewordenen Schuhen, die man doch in der Vergangenheit so lieb gewonnen hat, in die man aber beim besten Willen nicht mehr rein passt. Auch wenn man wieder ein neues passendes Paar gefunden hat, kann es eine Weile dauern, bis man sich an sie gewoehnt hat und die anderen nicht mehr (so) vermisst...

Ich bin mir sicher, dass auch Du in absehbarer Zeit zu einer anderen Sicht und vor allem Bewertung Deines gegenwaertigen Verhaltens kommst - spaetestens wenn Du wieder Feuer und Flamme fuer etwas bist... Ob das unbedingt Reisen sein wird - wer weiss?

Und: Man sieht ja einen Film auch nicht gleich sofort zum 2.Mal.

Gluecklicherweise haelt das Leben ganz unterschiedlliche Reisen fuer jeden von uns parat - aeusserlich, wie innerlich.

Alles pendelt: Langzeitreisen ist das wurzellose Extrem einerseits - jetzt geht's fuer Dich (erstmal?) in die andere Richtung.

Also, setz Dich bloss nicht selbst unter Druck - freu Dich auf und ueber den neuen Lebensabschnitt und geniess den Sommer daheim. - Leben ist Fluss und Veraenderung .

Liebe Gruesse

Astrid

[wintergreen]

Hi,

manchmal braucht man vielleicht auch einfach Urlaub vom Alltäglichen. Wenn das Alltägliche ein sehr aktives, Abwechslungsreiches Leben ist, dann ist die "Langeweile" vielleicht auch mal eine Abwechslung?

Ich hatte mal über mehrere Jahre tolle Urlaube. Jedes Jahr habe ich mich Wochen davor schon total darauf gefreut. Habe mir viele Bücher gekauft, meine Vorräte aufgestockt, Bier kalt gestellt, allen Freunden gesagt ich sei mal wieder für 2 Wochen nicht erreichbar - und habe mich dann für diese 2 Wochen in meine Wohnung eingeigelt und den ganzen Tag gefaulenzt, sehr viel gelesen, manchmal Ferngesehen und vielleicht auch mal ne Pizza bestellt. Vor Allem bin ich in der Zeit nicht aus dem Haus und habe mir keinerlei Verpflichtungen gesetzt. War toll!

Und nach einiger Zeit WOLLTE ich dann auch wieder raus.

Kurzum: Manchmal braucht man halt eine Auszeit von dem, was man sonst so macht. Finde ich völlig normal

greetings

wintergreen

...OK, wenn ich mein posting so lese finde ich das, was ich da gemacht habe, auch ein wenig skurril. Waren immerhin 2 wertvolle Wochen von meinem Jahresurlaub. Aber ich fand es damals super, war danach auch immer wieder total fit (wenn auch mit leichtem "Jetlag" wegen Auseinanderlaufen meiner persönlichen Zeitzone mit GMT+1) und denke heute noch sehr gerne an diese Urlaube zurück (auch wenn ich so etwas zurzeit nicht machen wollte). Muss das damals also auch irgendwie gebraucht haben

[Coogar]

Bin ich krank? Habe ich ein Luxusproblem?

Hallo Micha,
Nachdem alle so freundlich und verständnisvoll geantwortet haben, will ich jetzt mal loswerden (Achtung! ).
Krank bist Du ganz bestimmt nicht, aber das mit dem Luxusproblem könnte schon zutreffen.

Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass Reisen oft als etwas betrachtet wird, was uns 'füllen' soll, was uns mit Anblicken bescheren soll, die wir sonst nicht zu sehen bekommen und mit Momenten, die unsere Erinnerung bereichern und all der Duft von Gewürzen in der Luft, die es in Deutschland vielleicht nur in ein paar kleinen Läden gibt und nicht kiloweise auf Märkten, wo alle in einer fremden Sprache ihre Waren anpreisen. Konsum, Konsum.
Und wie langweilig, wenn die dann doch auch bloß im Supermarkt ihr labberiges Toastbrot kaufen und morgens auf die Arbeit gehen, puh!

Erstens mal gibt es ja verschiedene Formen von Reisen (zB auch die kombiniert mit Arbeit im Ausland) und zweitens mal, was will einer denn mit der Reise:
Außen stehen und mal reingucken oder tatsächlich Teil von etwas anderem sein?

In letzterem Fall kann mal ganz schön frustriert werden mit all den Dingen, die sich auf täglicher Basis abspielen, die man so nicht kennt, die einen an Humanität und gesundem Menschenverstand zweifeln lassen, die so gar nichts zu tun haben mit unserem gewohnten Alltag, die einem einen anderen Alltag präsentieren, der einen immer wieder daran zweifeln lässt, ob man dem gewachsen ist (und das obwohl es doch auch hier Persil gibt).

Und dann gelangt man aber vielleicht an den Punkt, an dem man sich sagt, genau das ist es doch. Nicht, dass ich mich von dem 'anderen, exotischen, abenteuerlichen' (eh bloß Touri-Märchen wenn Du mich fragst und recht hoher Abnutzungsfaktor) einlullen lassen will, um dann nach Hause zu kommen und schöne Fotos zu gucken, sondern dass ich etwas lerne über mich und über diese Welt, in der wir leben, und dass ich wachse und stärker werde, und ja, vielleicht komplett desillusioniert was die Menschheit angeht aber dafür endlich fähig, Dinge zu verstehen, von deren Existenz ich vor einigen Jahren nichts wusste...

Nun gut, so sehe ich das.
Sich beschweren, weil's nicht mehr so anders/exotisch/abenteuerlich ist, ist für mich typisches Wohlstandsdenken. Wenn man sich eben zuhause mit nem Bier vor dem Fernseher besser fühlt, cool, dann sollte man das doch tun. Ignorance can indeed be bliss.
Lieber Gruß, Coog