Lieber in arme Länder reisen oder in reiche?

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Coogar
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Lieber in arme Länder reisen oder in reiche?

Ungelesener Beitrag von Coogar »

Ich hatte vor wenigen Tagen eine Diskussion darüber, in der noch nicht einaml geklärt werden konnte, was denn nun ein armes und ein reiches Land eigentlich ausmacht.
Deshalb interessiert mich mal Eure Meinung zu dem Thema.
Ist es grundsätzlich sinnvoller ein armes Land durch Tourismus zu unterstützen oder birgt das in den meisten Fällen das Problem, dass man ja damit auch ein Regime unterstützt, und ab wann seht Ihr ein Land als arm an?
Mein Freund (Mexikaner) meinte zB, dass Paraguay ein armes Land sei, woraufhin ich meinte, dass es nicht arm ist, weil es nicht in den Listen der Länder auftaucht, die wirklich arm sind, heißt die Grundversorgung ist gewährleistet und die Wirtschaft einigermaßen stabil (Paraguay lebt hauptsächlich von Agrarkultur). Laut seiner Aussage ist aber so ziemlich jedes Land arm, dass nicht Europa, USA, Kanada, Australien oder Neuseeland ist. Ist Weltarmut Ansichtssache? Natürlich ist mir klar, dass es in vielen Ländern Armut gibt, auch wenn es keine 3. Welt Länder sind, aber das trifft ja auch auf Europa zu.
Um bei Paraguay zu bleiben: Habe letztlich erst erfahren, dass dort Korruption sehr verbreitet ist. Unterstützt man diese, wenn man das Land bereist?
Unterstützt man Kapitalismus in anderen Ländern, wenn man sie bereist (zB in Cuba) und ist das immer etwas Schlechtes?
Die Fragen sind ein bisschen durcheinander, aber treffen so ungefähr das, was für mich nach der Diskussion immer noch die Frage ist.
Was meint Ihr?
Liber Gruß, Coogar
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G.B.Shaw
atw
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Lieber in arme Länder reisen oder in reiche?

Ungelesener Beitrag von atw »

Hallo Coogar und alle anderen,

ich schätze mal die Frage lässt sich definitiv nicht einfach und wahrscheinlich überhaupt nicht eindeutig beantworten. Will trotzdem mal versuchen zu schreiben, was mir spontan jetzt dazu einfällt.

Ohne jetzt mal diese Liste in Betracht zu ziehen, hätte ich Paraguay wenn du mich einfach auf der Strasse gefragt hast wohl auch eher in die Kategorie der armen Länder eingestuft (wobei ich noch nie dort war bzw. allgemein noch nie in Südamerika).
Allerdings würde ich es dann doch nicht so generell betrachten wollen, wie dein Freund. Einmal hängt es natürlich stark von der Definition von Armut ab. So kann ein Land an sich natürlich Geld haben, was aber sehr ungleich verteilt ist und dadurch eben ein großer Teil der Bevölkerung auf der Strasse unter dem Existenzminimum lebt. Da seh ich persönlich eigentlich eher den Ansatzpunkt für Armut. Man könnte natürlich dann noch einmal auf einer komplett anderen Ebene einsteigen, wenn man Armut mal von der kapitalistischen Ebene (also nur von der Geldseite her betrachtet) runterholt. Mal ein Beispiel zum besseren Verständnis: Ohne jetzt Indien als reich bezeichnen zu wollen (denn das ist es wohl definitiv nicht, wenn auch sehr aufstrebend), habe ich bei den Leuten (und zwar auch und gerade bei den Leuten die Arbeit am unteren Ende der Gesellschaft hatten) dennoch oftmals eine Zufriedenheit mit ihrer Situation und ein daraus resultierendes Glücksgefühl, dass sie ausgestrahlt haben, obwohl sie materiell betrachtet nichts hatten. Aber das macht sie ja doch auch sehr reich - nur eben auf einer anderen Ebene. Aber ich glaube, darauf wolltest du eigentlich gar nicht hinaus, wollte aber gerne die Ebene mal mit in die Diskussion einbringen.

Grundsätzlich gibt die Aufzählung sicherlich die reichsten Länder der Erde (wenn man mal von Emiraten bspw. absieht) wieder. Aber alles andere wiederum auf eine Ebend zu stellen, wäre wohl ungerecht. Sinnvoll wäre sicherlich eine weitere Unterteilung - Frage ist natürlich nur, ob man daraus noch einen Added Value ziehen kann.
Ob man eher ein armes oder reiches Land bereisen sollte, oder mal umformuliert, ob man denn ein armes Land bereisen sollte oder besser nicht um das Regime nicht zu unterstützen hängt m.M. nach auch etwas davon ab, wie man reist und dadurch eben auch die lokale Bevölkerung unterstützt.
Die reichen Länder kann man wohl mit nicht-Bereisen eher strafen, weil das der Bevölkerung sicherlich nicht zu schaden kommt - ob man damit viel erreicht steht wohl auf einem anderen Blatt (bspw. USA in die es mich derzeit nicht wirklich zieht).
In den armen Ländern unterstützt du sicherlich immer das Regime durch deine Anwesenheit, aber eben auf der anderen Seite auch die Bevölkerung direkt. Zumindest wenn du nicht nur in *****-Hotels absteigst und eben durch entsprechende Auswahl von Restaurants, Hotels etc. zumindest einen Teil der lokalen Bevölkerung unterstützt (wobei das selbstredend die sind, die es schon ein Stück weit geschafft haben). Die Leute am untersten Rand zu erreichen ist sicherlich immer recht schwierig, wenn man nur "durchreist" und nicht längere Zeit an einem Platz lebt (wie jetzt bspw. unser Julchen in Nepal...) Denn von den Bettlern halt ich persönlich nicht so viel, da du da einmal nie weißt wo du anfangen und wo aufhören sollst und vor allem ja doch meist organisierte Banden dahinterstehen, so dass du gar nicht erreichst, was du eigentlich bezwecken wolltest.

So, jetzt will ich mich erst mal bei allen bedanken, die es geschafft haben bis hierher zu lesen :roll: Ich hoffe meine Message ist halbwegs klar noch zu erkennen gewesen. Hab jetzt wirklich einfach mal runtergeschrieben, wie es mir in den Kopf kam und mag deswegen teilweise etwas verworren klingen... :? :idea:

Bin jetzt mal auf ne spannende Diskussion gespannt. :!:

Viele liebe Grüße
Nico
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Coogar
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Lieber in arme Länder reisen oder in reiche?

Ungelesener Beitrag von Coogar »

Deine Aussage über die USA oder andere "reiche" Länder erscheint mir sehr logisch. Das ist aber auch definitiv ein Land, aus dem ich mich zur Zeit raushalten würde, auch wenn mir klar ist, dass die USA sehr schöne Seiten und auch bestimmt nette Menschen vorzuweisen hat, aber hier finde ich die Stellung weltweit und die derzeitige Politik zu schwerwiegend, um überhaupt in Betracht zu ziehen dorthin zu gehen.

Aber zB Australien ist ein reiches Land, wo viele Leute hinreisen wollen. Ich könnte mir nicht vorstellen, Australien ernsthaft zu bereisen, würde höchstens einen Entspannungsurlaub dort einlegen. Denn wenn ich reisen will, zieht es mich doch automatisch in ärmere Länder. Mit ärmere meine ich ärmer, als mein eigenes Land. Vielleicht, weil es einen auf den Boden holt und klarmacht, was man im Leben wirklich braucht. Damit meine ich jetzt nicht, dass ich Leute auf der Straße leben und sterben sehen will, sondern dass ich es schön finde, Glück mit relativ wenigen Mitteln zu erleben, also zB weniger Komfort. Das ist etwas, das man nachher auch mit nach Hause nehmen kann.

Gleichzeitig will ich nicht ignorieren, was in den einzelnen Ländern vor sich geht, also Politik und Chancenungleichheit und all diese Dinge. Hier finde ich es klasse, was Julchen und andere Leute machen; doch mal länger an einem Ort bleiben und aktiv zu helfen; man muss ja nicht immer Geld geben, Zeit und Arbeitskraft ist viel wert.


Aber nochmal zur Definition von Armut: Ich habe mich in Argentinien ein paar Mal wahnsinnig geärgert, weil mir junge Leute in BsAs förmlich vorwarfen, ich sei ja aus einem reichen Land und sie seien ja so arm, und das von Leuten, die Markenklamotten tragen und ein Auto besitzen (etwas, worauf ich verzichte); die kamen teilweise mit Sprüchen a la, ich müsse ja nur meine Eltern um Geld fragen und dann könnte ich mir ein Haus kaufen oder ich sei ja 4 mal so reich wie sie, weil der Euro ja 4 Pesos wert sei.
Ich denke, man sollte nicht so naiv sein zu glauben, dass es Leuten automatisch schlechter geht, weil der allgemeine Wohnstandard niedriger ist als im eigenen Land, oder weil das Land nicht ganz so fortschrittlich ist und umgekehrt.

Ich habe auch nochmal mit meinem Freund drüber geredet und der hat seine Aussage dann relativiert, dahingehend, dass er sagte zB im Vergleich Mexico - Deutschland hat der Durchschnittsdeutsche mehr Optionen als der Durchschnittsmexikaner, wobei wir beide wissen, dass es in unserem Fall witzigerweise direkt umgekehrt ist (man kann auch auf der anderen Seite des eigenen Landes stehen :wink: ), und damit hat er bestimmt recht. Das macht aber die Mexikaner nicht automatisch zu einem armen Volk und ich denke, man sollte erstmal davon absehen, vor Mitleid zu zerschmelzen, weil jemand aus einem ärmeren Land kommt, sondern versuchen zu sehen, was wirklich ist und was nicht. Schwer genug.
In einigen Gegenden und Bereichen wird es natürlich offensichtlich sein, ob Hilfe nötig und angebracht ist, aber davon abgesehen will ich nicht mit nem schlechten Gewissen durch (in diesem Fall) Buenos Aires ziehen, weil es ein paar Ignorante Twens gibt, die nicht wissen (wollen) dass auch in Europa die Straßen nicht mit Gold gepflastert sind.


Wow, das Thema ist ganz schön umfassend ... :shock:
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G.B.Shaw
atw
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Ungelesener Beitrag von atw »

Ich denke gerade bei der Größe des Landes (USA) kann man eh schlecht verallgemeinern. Da gibt es ganz sicher viele nette Flecken. Und nette Amerikaner trifft man ja auch ständig, wenn man unterwegs ist. Wobei auch hier der Umkehrschluss leider nicht zu verallgemeinern ist. Diejenigen Amis, die unterwegs sind, zeigen ja gerade durch das Reisen, dass sie weltoffen sind und sich mit anderen Kulturen beschäftigen. Das gilt ja leider nicht für alle - unter dem Gesichtspunkt kann man die USA ja durchaus als Entwicklungsland bezeichnen (wobei das nun schon wieder deutlich allgemeingültiger klingt, als es soll).
Aber wenn man die USA jetzt nur mal von der Größe mit Europa (was uns ja am nächsten liegt) vergleicht, so können wir ja hieran schon erkennen wie viele unterschiedliche Flecken Land, Menschen, Kulturen etc. es gibt. Was aber dieses Land vereint ist wohl das Regime. Das gilt ja zum Glück nicht für die Menschen, denn zu Bush bekennen sich die wenigsten (zumindest geben sie es nicht zu). Dass es bei der letzten Wahl dann dennoch anders ausgegangen ist, ist wohl eine andere Geschichte.
Naja, und ich schweife schon wieder mal ab... Das Thema ist eben echt total umfassend und es fällt mir wie du siehst gerade echt schwer mich an nur einem einzigen roten Faden entlangzuhangeln.

Bei Australien widerspreche ich dir spontan jetzt mal in dem Sinne, dass es dort m.M. nach stark darauf ankommst wie und wo du dort reist. Allerdings habe ich mich bislang noch nicht weiter mit AUS beschäftigt, weil ich eh nie das Geld hatte dorthinzukommen. Aber ich finde das Land aus der Ferne (genau wie NZ) doch sehr faszinierend. Die Städte sind sicherlich sehr mit den USA (oder doch auf jeden Fall der westlichen Welt) zu vergleichen. Aber ich denke, wenn du dich ins Outback schlägst, dann sieht die Sache da schon wieder ganz anders aus. Aber eine wirklich fundierte Meinung kann ich mir hier nicht erlauben, sondern es sind vll auch vielfach mehr Wunschvorstellungen, wie es war/ist/sein könnte.

Was jetzt aber ärmere Länder angeht, dann kann ich dich da voll unterstützen. Ich sehe das genauso und es geht doch so oft von diesen Leuten wirklich so eine Ausstrahlung aus, die man in der Form keinem der es nicht auch selber schon mal erlebt hat, rüberbringen kann. Allerdings ist mir das besonders stark in Asien aufgefallen. Wenn ich hingegen an Osteuropa denke, ist es zwar auch sehr meisterhaft (oder aufgrund der Temperaturen manchmal sogar noch mehr zu würdigen) wie diese Menschen mit den Mitteln, die sie zur Verfügung haben, ihr Leben meistern. Aber ich habe (zumindest auf den ersten Kontakt bzw. nur im vorübergehen) vielfach eher ein Gefühl der Verbitterung gespürt. Wenn ich dann mit dem einen oder anderen auch mal in Kontakt kam, ist der eine oder andere auch aufgetaut und das Bild hat sich gewandelt.
Aber in Asien ist mir diese Art von Verbitterung eigentlich nie untergekommen, sondern wirklich vielmehr immer eher ein Glück was von diesen Menschen ausging. Am stärksten ist mir dies damals in Indien aufgefallen (wobei es auch daran liegen mag, dass es meine erste Asien-Reise war). Ich denke ein Stück weit lässt sich dies auch auf den Glauben der Menschen zurückführen. Diese Menschen sind einfach von Grund auf zufriedener mit ihrem Leben, da sie nicht täglich nach mehr (Materialität) streben (müssen!). Diese Art von Erlebnissen bringen mich persönlich immer deutlich weiter als ein ***** Hotel in Dubai oder der achtundzwanzigste Tempel.
Am stärksten einsteigen in eine Kultur oder dies am intensivsten erleben kannst du mit sicherlich über einen Langzeitaufenthalt in einem Land - am besten eben nicht als "Touri" oder "Backpacker", sondern wenn du dich wirklich (bspw. durch eine entsprechende Arbeit) dort in die Gesellschaft integrieren kannst. Wobei man da auch immer insofern aufpassen muss - finde ich - dass man hierdurch nicht den Locals die Arbeit wegnimmt. Aber es gibt ja auch normalerweise immer genug Tätigkeiten, wo intensiv nach einem Externen aufgrund von Erfahrungen oder Fähigkeiten gesucht wird. Dann ist das auf jeden Fall ok und bringt beide Seiten weiter. Und ja - wenn richtig eingesetzt und man die Möglichkeit dazu hat, ist alles andere immer besser als Geld, da man direkt gutes tut, nichts versickert, direkt Feedback bekommt und sogar noch was für sich mitnehmen kann.

Was dir in BsAs passiert ist natürlich sehr schade und ist mir in der Form bislang zum Glück noch nicht untergekommen. Das ist leider das Problem der "Neureichen" und gibt es dort eben genauso wie hier in Deutschland - wobei das sicherlich vor 15 Jahren deutlich schlimmer war. Aber allgemein betrachtet, ist sicherlich (von der "Unschuldsvermutung" ausgehend) BsAs oder auch Mexico eher als armes Land anzugehen. Ausnahmen gibt es natürlich immer und jeder Mensch ist natürlich im Zweifel als Einzelfall zu beurteilen. Das fällt aber natürlich schwer und es fehlt auch oftmals die Muße dazu. Daher sollte man am sinnvollsten wohl immer - um doch so langsam wieder die Kurve zu kriegen und den Kreis nach oben zu schließen - versuchen, nicht zu viel zu verallgemeinern und dabei insbesondere die Extreme außen vor lassen.

Allerdings halte ich ein schlechtes Gewissen nie für angebracht - du hast schließlich nichts verbrochen. Viel wichtiger finde ich immer, mit offenen Augen das Land und die Leute zu sehen!

Mann-o-mann - das ist wirklich ein Fass ohne Boden. Da ist ja jetzt wieder einiges zusammen gekommen...
Dann hoffe ich mal weiterhin auf viele fruchtbare Beiträge :-)

Bis bald, LG
Nico :lol:
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Julchen
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Lieber in arme Länder reisen oder in reiche?

Ungelesener Beitrag von Julchen »

Hallo!

Irgendwie hat man als Reisender auch eine gewisse Verantwortung, die Irrglauben ueber sein Heimatland aufzuklaeren, finde ich. gestern hat mir zum beispiel ein trekking guide in myanmar erzaehlt, manche einheimischen glauben ernsthaft, dass westliche reisende von ihrer regierung fuers reisen bezahlt werden und das geld saeckeweise haben. tja, schoen waers... :wink: dass wir tatsaechlich dafuer arbeiten muessen, um reisen zu koennen, ist vielen nicht klar.

in nepal sagen manche leute als antwort auf "i am from germany" sofort: "oh, good country, good government, lots of money". klar haben wir im vergleich zu ihnen viel geld und eben auch eine ganz ordentliche regierung, immerhin keine diktatur. aber dass das eben nicht alles ist, sehen viele nicht. ich hatte mal mit einem busfahrer eine diskussion, der aber gar nicht einsichtig war, als ich versuchte, ihm zu erklaeren, dass es auch negative seiten in d gibt. er dachte, geld allein mache den kohl fett. eine frau hat mich dann gefragt, was denn das negative an d waere, und ich hoffe, ich konnte mich ihr verstaendlich machen (so gut ist mein nepali leider noch nicht).

ich moechte einfach versuchen, den leuten in armen laendern (eben besonders in nepal) klar zu machen, was an ihrem eigenen land so liebenswert ist. gerade diese scheinbare zufriedenheit, das gelassene, die offenheit, auch die familiaeren zusammenhalte und noch vieles mehr. dass geld eben nicht alles ist. es ist schwer, das von der warte des "reichen touris" her zu machen, aber manchmal klappt es vielleicht...

aber antwort auf coogars frage war das auch nicht. besonders in myanmar, wi ich gerade bin, stellt sich ja die frage, ob man das regime unterstuetzt, wenn man reist. ja, man tut es - aber der groesste teil des geldes, wenn man bewusst reist, geht eben an die einheimische selbst. und die brauchen es.

in nepal, wo der tourismus wegen buergerkrieg am hungertuch nagt, hab ich mitgekriegt, wie die normalen leute vom tourismus profitieren oder eben nicht, wenn er fehlt. und ich bringe mein geld 1000mal lieber in ein nepalesisches dorf, als in ein casino in las vegas - bloeder vergleich vielleicht. auch wenn ich mir reiche laender zum reisen leisten koennte, wuerde ich doch noch in arme fahren. weil ich von ihnen lernen kann, weil es interessanter ist und aus noch vielen gruenden mehr.

liebe gruesse vom inle see, myanmar
julchen
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Coogar
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Re: Lieber in arme Länder reisen oder in reiche?

Ungelesener Beitrag von Coogar »

julchen (n.e.) hat geschrieben:aber antwort auf coogars frage war das auch nicht.
Aber dafür ein von mir sehr geschätzter Beitrag :)
Mit dieser Frage habe ich mich nämlich in BsAs leider viel auseinandersetzen müssen und auch Freunde von mir, wie zB ein US-Bürger, der Freiwilligenarbeit vor Ort geleistet hat. Er war in der Immigrantenhilfe tätig, wo er mit seinem Englisch, Spanisch und Französisch gut helfen konnte (auch ein gutes Beispiel der von atw genannten positiven Beispiele der Amerikaner, die man auf Reisen trifft). Er kam tatsächlich aus sehr guten Verhältnissen, hatte reiche Eltern, aber ich fand es klasse, dass er sich nicht drauf ausruhte, sondern sich engagierte und interessierte, was in der Welt so vor sich geht. Einmal waren wir abends aus und er war den Tränen nah, weil er wiederholt blöd angemacht worden war von wegen "reicher Touri und auch noch Ami", und meinte völlig frustriert, er habe es satt, sich ständig dafür entschuldigen zu müssen, dass seine Eltern Geld haben.
Solche Sachen sind uns irrerweise ausschließlich in Buenos Aires passiert und ausschließlich mit jungen Leuten, denen es offensichtlich alles andere als schlecht ging. Die arme Bevölkerung und Leute vom Land habe ich nie als so grob und ignorant empfunden.
julchen (n.e.) hat geschrieben:in nepal, wo der tourismus wegen buergerkrieg am hungertuch nagt, hab ich mitgekriegt, wie die normalen leute vom tourismus profitieren oder eben nicht, wenn er fehlt. und ich bringe mein geld 1000mal lieber in ein nepalesisches dorf, als in ein casino in las vegas - bloeder vergleich vielleicht. auch wenn ich mir reiche laender zum reisen leisten koennte, wuerde ich doch noch in arme fahren. weil ich von ihnen lernen kann, weil es interessanter ist und aus noch vielen gruenden mehr.
Das ist ein für mich nachvollziehbares statement. Wenn man schon sein Geld in die Welt hinausträgt, dann doch lieber dorthin, wo es vielleicht von größerem Nutzen ist.
Auf mich üben ärmere Länder einfach einen größeren Reiz aus, aber ich glaube, das liegt auch daran, dass die reicheren Länder, die einem so auf Anhieb einfallen, so ein europäisches Flair haben. Und man will ja auf Reisen Neues entdecken und nicht alles das, was man schon kennt.
Gerade wenn man länger reist, erwartet und wünscht man sich doch einen gewissen Kulturschock, eine andere Welt.

Was die Unterstützung der Regierung angeht: Ich denke, man kann sich aus solchen Ländern fernhalten, wenn man weiß, dass das Volk nicht akut leidet (also zB wenn man ein Problem mit der Außenpolitik hat), in anderen Fällen braucht vielleicht gerade die Bevölkerung den Tourismus, in wieder anderen Fällen würde mir einfach meine persönliche Sicherheit vorgehen.

Nico, Deine Erfahrung mit Indien finde ich sehr schön und erinnert mich ein bisschen an den Unterschied, den ich in Argentinien zwischen BsAs und Salta mitbekommen habe. Ich habe zwar BsAs geliebt, aber mir sind einfach auch viele Dinge sehr unangenehm aufgestoßen, während ich in Salta viel mehr ärmere Leute getroffen habe, die aber durchweg viel herzlicher und freundlicher waren. In BsAs waren auch viele herzliche freundliche Leute, ich will es jetzt nicht irgendwie schlecht darstellen oder so, aber es wurde einfach schon viel eher auf äußere Erscheinung geachtet und es gab auch durchaus eine gewisse spürbare Arroganz bei vielen, die mir in Salta einfach nicht begegnet ist.

Ich denke wirklich, dass man mit weniger sehr viel glücklicher sein kann (damit meine ich nicht, wenn man an der Armutsgrenze lebt, klar). In der WG in Argentinien habe ich mir zB ein Zimmer mit nem Mädel geteilt (vorher für mich unvorstellbar, Privatsphäre!) und auch sonst war alles sehr einfach, aber alles hat sich so sehr auf das Miteinander und das Zwischenmenschliche konzentriert, dass ich mich einfach permanent gut aufgehoben und glücklich gefühlt habe.
So eine Erfahrung ist in einem Land mit niedrigeren Standards, denke ich, bestimmt einfacher zu machen als im eigenen Land oder einem, das ähnlich strukturiert ist.

Liebe Grüße, Coog
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Ungelesener Beitrag von atw »

Hallo,

ja Coogar das ist leider so... - dass man sich noch für das Geld, was man noch nicht mal hat, dann auch noch blöd anmanchen lassen muss. Und besonders dreist sind da wirklich diejenigen, die eigentlich schon verhältnismäßig gut leben. Man könnte fast meinen, wer einmal die Luft des Geldes geschnuppert hat, der kommt davon nicht mehr los und will nur noch mehr und entwickelt dadurch einen Neid, der sich in dieser Form dann äußert. Von den "armen Schluckern" am Straßenrand wird man doch eher selten so frech angemacht, sondern wird eben höchstens arg nervig und penetrant angebettelt oder verarscht. Aber damit kann ich mich eher anfreunden, zumal die Situation für diese Leute ja auch eine ganz andere ist.

Nicht vergessen sollten wir wohl aber beim Reisen, dass Deutschland einmal doch sehr oft noch ein sehr gutes Image hat und dass es uns im Durchschnitt hier ja auch sehr gut geht. Und das was wir als negative Seiten sehen hier bei uns in Deutschland - weil wir es eben täglich erleben und damit schon über haben. Ich will dadurch natürlich nicht leugnen, dass ich die negativen Seiten hier genauso sehe und auch teilweise über habe bzw. einfach nur zu viel bekomme... Allerdings liegt das doch oft vielmehr an der Gesellschaft und wie sich hier viele über jede Mücke aufregen als über unsere Standards an sich. Sicherlich regt sich jetzt jeder über die Kürzung der Sozialstandards bspw. auf, aber wenn man dann mal den Vergleich mit anderen (Industrie-)staaten anstellt, stehen wir doch wirklich nicht so schlecht dar, oder wie seht ihr das?
Dann aber die Chance zu nutzen wirklich beim Reisen nicht nur fremde Kulturen kennenzulernen, sondern auch in der Fremde den Einheimischen die eigene Kultur nahe zu bringen, finde ich oft gar nicht sooo einfach - das erfordert als Vorbereitung auf jeden Fall erst einmal eine intensive Auseinandersetung mit der eigenen Kultur. Dann ist aber natürlich immer noch die Vermittlung ggü. Menschen, die doch oftmals noch nie in Berührung mit westlicher Kultur waren (also in dem Sinne, dass sie wirklich schon mal dort waren, meine ich). Allerdings finde ich viel schlimmer und erschreckender, dass viele Reisende gar nicht erst auf diese Idee kommen und daran gar kein Interesse haben.
Ich denke wirklich, dass man mit weniger sehr viel glücklicher sein kann (damit meine ich nicht, wenn man an der Armutsgrenze lebt, klar). In der WG in Argentinien habe ich mir zB ein Zimmer mit nem Mädel geteilt (vorher für mich unvorstellbar, Privatsphäre!) und auch sonst war alles sehr einfach, aber alles hat sich so sehr auf das Miteinander und das Zwischenmenschliche konzentriert, dass ich mich einfach permanent gut aufgehoben und glücklich gefühlt habe.
So eine Erfahrung ist in einem Land mit niedrigeren Standards, denke ich, bestimmt einfacher zu machen als im eigenen Land oder einem, das ähnlich strukturiert ist.
Dem kann ich mich auf jeden Fall anschließen, auch wenn es ja so ist, dass wir als Reisende dies ja immer nur einen begrenzten Zeitpunkt tun müssen. Ewig würde mir das schon sehr schwer fallen. Unterwegs hingegen, in einem fremden Land, ob man jetzt reist oder dort bspw. Praktikum macht, sieht die Sache doch ganz anders aus. Dort ist man doch oftmals sogar froh, so direkt eine Person zu haben, der man sich anvertrauen kann und die eben auch nicht nach 48 h wieder weggezogen ist.
Auf jeden Fall zieht es mich auch immer wieder in die weitere Welt hinaus. Und dabei ist es ja nicht so, dass in Europa alles überall gleich wäre. Aber wie du schon scheibst, Coogar, die Struktur, der grundsätzliche Aufbau der Gesellschaft ist eben doch der gleiche - zumindest auf den ersten Blick. Gerade innerhalb der Kulturen gibt es ja doch Unterschiede, die es nur viel schwere fällt zu finden. Ist mir bspw. während meines Erasmus-Aufenthalts in Finnland - gerade im Vergleich zu Franzosen die auch zuhauf dort waren - im Laufe der Zeit stark aufgefallen.

Ich wünsche euch noch ein paar tolle Tage

Liebe Grüße
Nico
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