Ich war 2010/11 für 1 Jahr in Rwanda, habe daher vllt. etwas tieferen Einblick bekommen - vor allem durch Kontakte dort aber auch durch eigene Erfahrungen.
Mein Eindruck vom Land ist:
- als Weiße Frau wird mensch oft von Männern angesprochen. Männer sitzen überall herum, viele haben/hatten damals zumindest in Kigali nichts zu tun, beobachten die Passanten, reden, rufen was hinterher beim Passieren der Grüppchen. Mangels Sprachkenntnisse konnte ich nicht oft einordnen, welcher Art die Bemerkungen waren. Einen fragte ich mal, was er wolle, worauf er "dich!" sagte. Na ja. Diese Richtung war schon klar. Hinweis: Ich war nicht nuttig gekleidet oder so. Eher mit Oberlippenbart und so. Hihi.
- Nach einer Weile im Land merkte ich selber, dass Muzungu-Frauen / Muzungu Kazi (heißt im Übrigen nicht 1:1 Weiße, sondern beschreibt m.E. eher jmd., der an Geld vermögend ist, einen "westlichen"/europäisch-us-amerikanischen (life)style hat oder so; auch reichere Schwarze werden zuweilen Muzungu genannt) einfach auffallen, durch ihre hellere Haut. Soll durchaus auch heißen, je knapper bekleidet, desto eher fallen Kommentare/Rufe. Spaghettiträger oder nackte Schultern und ich würde auch behaupten, bis über´s Knie nackte Beine sind meiner Meinung nach tabu. Ich habe zu meinem Aufenthalt dort meiner Erinnerung nach keine Schwarze Frau gesehen, die Spaghettiträgertops o.ä. und jenen europäisch-us-amerik. "luftigen" Kleidungsstil trug. Auch keine jüngeren. Wohlgemerkt, in Kigali. Andersrum fiel mir eben nach einiger Zeit eine Weiße Volontärin auf, die ein Top trug, das nur eine Schulter bedeckte und - DIE leuchtete!

Aufgrund meiner Erfahrung dort, als Weiße, allein durch die Straßen (der Innenstadt) gehende Frau ständig angesprochen (und meinem deutschen Empfinden nach belästigt) zu werden, sprach ich jene Frau auf ihre Erfahrungen an und war, glaube ich, sogar so unverschämt - oder frei -, sie um bedeckendere Kleidung zu bitten. Klar, abweisende Reaktion. immerhin hab´ ich meine Bitte aber mit meinen Erfahrungen begründet und dem damit verbundenen Leid des Freiwildgefühls.
- Tabu: Frage NIEMANDEN, dem du nicht 100%ig vertraust und kennst, nach seiner (umstrittenen) ethnischen Zugehörigkeit (Bahutu/Batutsi, die Batwa nehmen eine eher unterrepräsentierte Rolle ein).
- Krasses Tabu: Sprich in der Öffentlichkeit NIEMALS kritisch über die rwandische Politik oder gar Präsident Kagame selber!!! Und noch genauer musst du es mit Bekannten nehmen, denen gegenüber du diese Themen anzusprechen gedenkst!
In Ruanda ist nach Einschätzungen Einheimischer jeder 3. ein Spion, für die diktatorisch zu nennende Regierung tätig. Habe ich lange, lange nicht geglaubt, abgetan, aus deutscher-weißer besserwisserischer Hochnäsigkeit. Und mangels Erfahrung. Fakt ist - dem ist Glauben zu schenken. 2. Fakt ist - die Spione agieren nicht unbedingt verdeckt, so dass mensch es nicht merkt. Manche stellen sich mitunter einfach interessiert dazu und hören mit, mit einer Miene, die aussagt, dass sie nichts zu befürchten haben. Folgerichtig lässt sich nun schließen, dass in der ruandischen Bevölkerung leider immer noch keine Einigkeit herrscht, kein Friede. Eher Misstrauen gegeneinander.
Für Weiteres empfehle ich sehr dieses Buch:
Ruanda: Leben und Neuaufbau nach dem Völkermord. Wie Geschichte gemacht und zur offiziellen Wahrheit wird
Habe also eigene Erfahrungen diesbezgl. machen dürfen und 1. Hand von einem Weißen, deutschen Freiwilligen erfahren, dass er nach einer in der Öffentlichkeit fallen gelassenen Bemerkung zu jemanden in das nächstgelegene Polizeirevier bestellt wurde, zusammengeschlagen wurde und letztlich ausreisen musste. Auf dem Flug zurück folgte ihm dann auf Schritt und Tritt ein Ruander mit dem gleichen Endziel Deutschland, der sich übervorsichtig, übernaiv stellte, was nicht zu glauben war. Wenn sich der Freiwillige auf deuutsch unterhielt, beugte sich der Ruander so weit zu ihm, dass er auch ja alles mitbekam - schwer zu glauben, dass das aus übertriebener "Unsicherheit" o.ä. war.
Rwanda ist ein krasses Land, hat in geschichtlicher Hinsicht auf jeden Fall ein Sonderstatus.
- Auf den Straßen etc. sind zuweilen Menschen unterwegs, die aus den unsicheren, unruhigen, angstbesetzten Jahren vor, während des und nach dem Genozid(s) 1994 psychische Schäden (wenn ich sie überhaupt so nennen darf) mitgenommen haben und nicht bewältigen konnten. Es gibt einige Ruander, die keinen Bock auf Weiße haben, verständlicherweise, schaut mensch sich an, wie sich die "Staatengemeinschaft"/UN damals herausgehalten hat. Oder sogar allem Anschein nach aktiv unterstützte (!!!), wie Frankreich.
Ich selber wurde auf einem Marktplatz in Kigali von einem älteren Mann festgehalten und er sprach eindringlich in ikiniyarwanda auf mich ein, was ich leider nicht verstand aber Angst bekam ob der für mich unsicheren Situation. Ich wehrte dann ab, brüllte was und bekam auch nach einer Weile Hilfe von anderen Männern, die vorsichtig auf den alten Mann einsprachen und von mir fernzuhalten versuchten. Das war meinem Empfinden nach in keiner Weise ein sexueller Übergriff, sondern hatte einen anderen Hintergrund.
- Mails und Briefe werden mitgelesen. Blogs auch. Egal, ob in Englisch, Frz., Deutsch. Trifft vllt. nicht in 100% der Fälle zu aber davon muss ausgegangen werden.
- Gefühlsausbrüche (Wut, Weinen) sind unüblich, über Leute mit solchen machen sich die anwesenden anderen Leute auf der Straße, im Bus etc. eher lustig. Ich vermute, mensch verliert sozusagen sein Gesicht/seine Würde, wenn sie/er sich so gehen lässt.
- saubere, ordentliche Kleidung ist wichtig. Zerrissen unüblich und zumindest vor 5, 6 Jahren noch war die Selbstdefinition per Klamottenstil, wie sie hierzulande üblich ist, bei fast jedem unüblich. In Kigali. Gewissermaßen auch nachvollziehbar, dass es einer Beleidigung gleichkommt, tritt mensch als vermeintlich (in Relation stimmt es auch, wer außer uns Europäern hat schon die Reisefreiheit und die Mittel dazu) reicher Weißer in zerrissenen, womöglich verschmutzten Klamotten auf, womöglich noch ungepflegt / ungewaschen in Gesicht, Haare etc. Das ist schon ein arger Fauxpas. Verständlich, finde ich, da die Leute dort selber meist wie aus dem Ei gepellt sind und zumindest auf´s Äußere achten.
Leger im office geht auch nicht, Business-Look ist besser. Ich glaube ja, auch bei der (damals) im Inland getätigten Visumsbeantragung hat mensch bessere Karten, wenn die Angestellten im office durch angemessenes Äußeres "geehrt" werden. Wie hierzulande m.E. auch.
- Ich glaube, "pingelig" auf strikte Einhaltung der gefälschten und um ein paar Getränke aufgestockten Getränkerechnung für die Runde bestehen kommt auch nicht so gut.
- Und die bekannt-berüchtigte deutsche Direktheit in Ansprache auch nicht. Mich selber nervt sie ja auch, zugegeben. Leider komme ich nicht so einfach davon los.
Es wird deutlich, dass in Sachen Sicherheit die größte Gefahr eher durch den Staat, also das Regime ausgeht in jeglicher Form. Die Bevölkerung an sich ist zuallermeist auffallend höflich, hilfsbereit und zurückhaltend. Abgesehen von beschriebenem Übergriff auf dem Markt kann es vorkommen, dass manch eine/r mal helle Haut oder glatte Haare fühlen möchte aber - und das ist bedeutend: Solche Vorkommnisse sind andersherum - Übergriffe dieser Art von Weißen Deutschen Schwarzen gegenüber - WEIT häufiger und zugleich mit einer arroganten Selbstverständlichkeit ausgeführt, die einem die Spucke im Mund steckenbleiben lässt. Eigene Beobachtung.
Jede/r, die/der nach Rwanda reist, sollte sich, wie ich finde, mit der jüngeren, schon sehr speziellen Geschichte des Landes oder meinetwegen auch mit der Geschichte, die seit der Kolonisierung und ggf. auch vorher bekannt ist, auseinander setzen. Ich hab´s nicht gemacht. Hätte mich vor dem Schock jenen Übergriffes vllt. auch nicht bewahrt. Aber vielleicht etwas besser vorbereitet und zu besserem Verständnis den Menschen ggüb. aufgerufen.
Je mehr ich darüber lese, desto mehr ist es mir ein Anliegen, eine Lanze zu brechen für die Geschichte dieser leidtragenden Bevölkerung, die seit 100 Jahren durch verschiedene Regimenter nicht in Ruhe gelassen wird.