Macht einen Photographieren zum Voyeur?

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Julchen
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Macht einen Photographieren zum Voyeur?

Ungelesener Beitrag von Julchen »

Hallo Ihr alle!

Ich lebe ja gerade in einem Kinderheim in einem Stadtviertel in Kathmandu, in dem ausser mir nur Nepalesen unterwegs sind. Ich falle natuerlich auf, weil ich einfach nicht nepalesisch aussehe (obwohl auch Nepalesen manchmal Sommersprossen haben! :wink: ). Trotzdem gehoere ich inzwischen irgendwie dazu, dem Gefuehl nach. Wenn ich morgens meine Maedchen zur Schule bringe und nachmittags abhole, werde ich freundlich gegruesst und angelacht. Und auch, wenn ich alleine unterwegs bin, fuehle ich mich integriert.

Nun ist es so, dass ich schrecklich gern photographiere. Und es ergeben sich immer wieder Szenen, die unglaublich fotogen waeren - wuerde ich sie photographieren. Bisher tue ich es nicht, denn ich habe eine Scheu davor, dass mich das Photographieren, das mich zum Beobachter machen, aus dem Zusammenleben herauskatapultiert. Irgendwie ist es doch so, dass, wenn man mit Menschem leben will, sie und ihre Umgebung nicht zum (Photo-)Objekt machen sollte. Oder?

Andererseits denke ich mir auch, dass es mich spaeter furchtbar fuchsen wird, wenn ich jetzt nicht photographiere.

Versteht Ihr meinen Zwiespalt? Wie handhabt Ihr das mit dem Photographieren?

Liebe Gruesse aus Nepal
Euer julchen
Wo ein Wille ist, mein Herz, da ist auch ein Gebüsch. (Element of Crime)
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Der_Felix
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Macht einen Photographieren zum Voyeur?

Ungelesener Beitrag von Der_Felix »

Hi Julchen,

wow, was für eine schwierige Frage!
Ich persönlich fotographier schrecklich ungern, weil ich mir dabei meist recht blöd vorkomme.
Aus verschiedenen Gründen:
- weil ich damit das Gefühl habe, mich in die Reihe der Otto-Normal-Touristen einzureihen, deren Urlaub mehr aus dem Fotos angucken danach besteht als aus dem Erleben vor Ort, und ich mich natürlich für tausend mal besser halte (welche Arroganz und wie falsch, ich weiß)
- weil ich eben Deinen Gedanken auch manchmal habe und dann genau so empfinde: ich will eine bestimmte Szene festhalten, mag aber diesen Menschen und sein Leben nicht dafür benutzen, mein Fotoalbum zu bereichern weil ich mir dann so überheblich und respektlos vorkomme
- weil ich es nicht mag, die Kamera ständig mit mir rumzuschleppen und daher eh oft keinen Fotoapparat dabei habe.

Die Folge des Ganzen ist, dass ich mich im Endeffekt nach jeder Reise ärgerer, viel zu wenig Bilder gemacht zu haben und gerade Szene xy nicht fotographiert zu haben. (Abgesehen davon, dass ich über viele der Reisen kommerziell berichte und dann zu wenig Bildmaterial mitbringe.)

Vermutlich macht es, wie so oft im Leben, der richtige Mix aus Foto-ja und Foto-nein, den man nur mit dem nötigen Taktgefühl hinbekommt.
Und natürlich die entsprechende Einstellung.
Auch wenn man das auf dem Bild nicht sehen kann, man sollte das Foto vor sich selber verantworten können. Da Du darüber überhaupt nachdenkst, finde ich, es ist etwas völlig anderes, wenn Du das eine oder andere Bild machst als jemand anderes. Abgesehen davon, dass Du Dich doch auch aktiv engagierst, die Menschen in Nepal im Rahmen Deiner Möglichkeiten zu unterstützen!
Und zu guter letzt kann man sich vielleicht mit Kant behelfen: wie würdest Du es finden, in dieser oder jener Situation von Dir fotographiert zu werden? Fändest Du das OK oder lieber nicht.

Einen ganz lieben Gruß (noch) aus Wuppertal!

Felix
Wer immer nur in die Fußstapfen anderer tritt hinterlässt keine eigenen Spuren!
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DAve01
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Macht einen Photographieren zum Voyeur?

Ungelesener Beitrag von DAve01 »

Hm, kenne diesen Zielkonflikt zu gut. War mal in Tijuana und hätte schaurig gerne den einen oder anderen Schnappschuss gemacht. Ich liess es dann, einfach um nicht meine Kamera zu zeigen- und es fuchst mich noch heute extrem, weil es wirklich ein geniales Foto geworden wäre.

Ich denke, ich würde schon mal den Kasten rausnehmen, einfach nicht wie ein Reporter mit 1000x blitzen und ohne Oause. Vielleicht 1x pro 2 Tage. Oder ev 1x, dafür einen Tag lang? Allenfalls zuerst noch fragen, oder halt aus dem Schatten heraus... Und: Kinder finden das vermutlich sowies noch kuhl...

Ich denke, dass dies schon "erlaubt" ist, weil Du ja nicht nur "nimmst", sondern auch gibst (in Deinem Volunteer) und so ists sicher ok. Ich persönlich pflege/lebe die Meinung, wenn Du von jemand ein Foto machst, soll er- wenn möglich- was kriegen, auch wenns dann ev einfach ein kleines lächeln oder Händedruck ist. Oder ev ein Buntstift zum malen für die Kids?? Oder ev ein Abzug vor Ort machen lassen / zuschicken?

-> also, mache das Bild, Du würdest es bereuen!
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TropicHeat
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Macht einen Photographieren zum Voyeur?

Ungelesener Beitrag von TropicHeat »

Julchen und Felix - ich kann euch gut verstehen, und mir geht's auch immer so! Und von all den Reisejahren habe ich viel zu wenig Aufnahmen mit Menschen d'rin (Portrait-Stil)... Ich bin aber auch jemand, der selbst nicht gern fotografiert wird.

In den letzten Jahren bin ich besser geworden. Manchmal frage ich (vor allem Frauen in muslemischen Gegenden!), das geht auch per Zeichensprache, und inzwischen kenne ich meine Kamera so gut, daß ich "aus der Hüfte heraus schießen kann". Da sind dann manchmal 20% der Aufnahmen verwackelt oder unscharf, aber auch 20% supergut und vergrößerungs-wert! Mit diesem Stil der Fotografie empfinde ich mich als nicht zu aufdringlich...
Mit DIGITAL jetzt kostet dieser Stil der Fotografie noch nichtmals mehr Geld, denn man/frau kann ja einfach schlechte Bilder löschen.

Im Endeffekt ist Fotografie sehr ähnlich zur Handy-Etikette: manche Leute haben kein Gefühl für die Situation, andere sind übersensibel. Ich habe oft gefunden, daß abseits der Touristen-Hochburgen Menschen der Kamera offener begegnen als in den Neckermann-Reisezielen.
Im Camper unterwegs durch Amerika von 03/06 bis 05/09: http://dare2go.com
Baity
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Macht einen Photographieren zum Voyeur?

Ungelesener Beitrag von Baity »

Ich fotografiere auch meistens zu wenig, weil ich eher den Augenblick genieße anstatt Fotos zu schießen, dadurch verblassen manche Erinnerungen sehr schnell.
Gerade in fernen Ländern muss man sehr aufpassen, allerdings kann man den zuhause gebliebenen zeigen wie es so in anderen Regionen ist. Man kann manche Menschen auf Missstände aufmerksam machen, die sie vielleicht garnicht kennen.
Daher finde ich fotografieren schon "gerechtfertigt", allerdings von den "allerwelts" Bildern halte ich nix. Es gibt Fotos die fast alle Touristen in ihren Alben haben, mit dem selben Hintergrund (Grenzstein, Gebäude..) nur mit einer anderen Person im Vordergrund.
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Coogar
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Macht einen Photographieren zum Voyeur?

Ungelesener Beitrag von Coogar »

Kenne ich auch, das Problem. Ich habe es so geloest, dass ich mir einen Sonntag genommen habe, an dem ich "Touri" sein durfte. Bin also mit der Kamera losgezogen und habe schamlos alles fotografiert, was mir vor die Linse kam :wink: War im Endeffekt ne klasse Sache und brachte mir einen lustigen Plausch mit einem Zeitungverkaeufer und ne echt nette Unterhaltung mit nem Skater ein, abgesehen davon ein paar echt nette Photos. Danach blieb die Kamera dann wieder ne Weile zuhause.
Ist leichter, wenn man mit Leuten zusammen ist, die man kennt, dann kann man auch austauschen uebers net etc.
Schoenstes Fotoerlebnis: Fotografierte in Salta ein total schraeges Haus, als ich hinter mir Gelaechter hoerte. Als ich mich umdrehte, sassen dort ein paar niños auf den Treppenstufen hinter mir und ein kleiner, suesser imitierte mich mit seiner alten Kamera. Woraufhin ich natuerlich ihn imitierte und dabei eine Aufnahme von ihnen machte, die bestimmt fototechnisch nicht hochwertig ist, mir aber jedesmal das Herz waermt, wenn ich sie ankucke. Alle waren am Lachen und Posen, sowas von suess, echt!:D
What is the use of straining after an amiable view of things, when a cynical view is most likely to be the true one?
G.B.Shaw
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Der_Felix
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Macht einen Photographieren zum Voyeur?

Ungelesener Beitrag von Der_Felix »

Hallo Coogar,

ich finde das mit dem "heute bin ich Touri"-Ding eine ganz gute Idee, zumindest um die klassischen Motive vor die Linse zu bekommen, etwa die tolle Kirche, den schönen Platz oder den Blick aufs Meer, ärgerlich ist es ja nur manchmal dann, wenn die eben nicht klassichen Motive vor der gerade nicht vorhandenen Linse rumspringen, etwa das alte Haus in Salta, und man gerade dann keine Kamera dabei hat.

Vor kurzem habe ich übrigens eine kleine Reisereportage über meine eigene (mittlerweile Ex)Heimat-Stadt geschrieben und bebildert. War ein ganz schön komisches Gefühl, wie ein Touri und mit der Kamera durch rumzu laufen und dabei doch keiner zu sein (obwohl es, zugegeben, nur wenige Touris gibt, die durch diesen Ort stromern ... dabei ist Wuppertal echt eine Reise wert ;-))


Gruß nach Südamerika!!!

Felix
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chrismuc
Kiebitz
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Macht einen Photographieren zum Voyeur?

Ungelesener Beitrag von chrismuc »

Hi Julchen,

kann Dich gut verstehen. Vielleicht hilft Dir aber (viel zu spät - aber vielleicht für den Rest) ein kleiner Vergleich mit dem Leben "daheim".
Auch hier machen wir gerne Fotos von Freunden, Bekannten, Ereignissen, Feiern oder einfach Menschen (jedenfalls die unter uns, die gerne fotographieren). Hier denkt aber man nicht gross darüber nach, sondern macht es einfach. Ich würde mir auch "woanders" nicht zu viele Gedanken über Foto ja/nein machen.
Wenn es die Möglichkeiten erlauben, kann man Freunden, die man unterwegs fotografiert auch entwickelte Fotos schenken.

Immer sollte man aber die lokale Tradition und den Glauben im Auge behalten und die "opfer" vorher um ihre Erlaubnis fragen.

LG
Chris
memento
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Registriert: 19 Jan 06 19:25
Wohnort: eig. Schweiz (Kloten, Zürich) im Moment aber gerade ASIEN

Macht einen Photographieren zum Voyeur?

Ungelesener Beitrag von memento »

Ich finde NEIN!

Als meistens werden ja sowieso Pics von der Natur, schönen Gebäuden etc geschossen. Da kann man ja nicht gut fragen...ausser es ist ausdrücklich verboten Fotos zu machen...

Bei Menschen ist das so eine Sache. Grundsätzlich finde ich es sowieso viel Interessanter Menschen zu fotografieren, die nicht merken, dass sie im Sucher sind... also frage ich auch nicht, ob es erlaubt ist. :lol:

Sollte mal eine Situation auftauchen, in der ein Gruppe, ein Gesicht etc. unbedingt auf das Pic passen würde, dann kann man ja Fragen oder mit Gesten sagen/zeigen was man machen will...90% der Leute werden nie ablehnen.....

Apropo: Erklärung Voyeur
"Gott schenkt Dir ein Gesicht, lächeln musst du selbst"

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