Wiedereingliederung in den Alltag nach Langzeitreisen o.ä.

Nach längerem Reiseleben ist nichts mehr, wie es vorher war: Die Heimat nicht und man selbst schon gar nicht. Und dann trotzdem: Business as usual?
Du bist nicht allein mit dieser Erfahrung - tausche Dich aus!
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Astrid & MArtin
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Wiedereingliederung in den Alltag nach Langzeitreisen o.ä.

Ungelesener Beitrag von Astrid & MArtin »

Hallo Spätheimkehrer,

für uns war es gar nicht so einfach, uns nach knapp 3jähriger Reisetätigkeit wieder (vorübergehend) in den deutschen Alltag zu integrieren.
Wir haben zwar ungeheuer viel Energie gehabt, aber irgendwie und in vielen Beziehungen war nicht Alles beim Alten.
Deutschland hatte sich zwischenzeitlich verändert - und wir auch.

Gleich am Flughafen Frankfurt hielten wir z.B. erstmals Euros in der Hand und wunderten uns, noch stets instinktiv in DM umrechnend, wie teuer hier alles geworden ist.
Ohne ins Detail gehen zu wollen, schien uns das allgemeine Lebensgefühl und die Stimmung in BRD verdüstert, strebsame Effektivität, konsum- und leistungsorientierte Angepasstheit eher verstärkt zu sein.
Vom viel zitierten "Klagen auf hohem Niveau" haben wir in Gesprächen nichts gemerkt. Eher hat uns oft eine klaglose Duldsamkeit trotz erschöpfender Dauervollbelastung und bürokratischer Zerwaltung imponiert.

Frisch aus dem "Königreich Kava" zurück gekehrt, wo wir 15 Monate gelebt hatten, erlebten wir das Leben hier wie von einem unbarmherzig schnellen Zeittakt diktiert und unnatürlich beschleunigt.
Etwa so, als betrete man unerwartet ein getuntes Personenförderband auf einem Flughafen oder als sei man Teil des Rolltreppen- Gewusels in Coppolas Kultfilm Koyaanisqatsi...

Natürlich haben auch wir uns in den Reisejahren verändert.
Noch immer fühlen wir uns hier ein wenig wie Beobachter von einem anderen Stern.
Erstmals erlebten wir z.B. die Schönheit des Rheintals zwischen Bingen und Koblenz nicht als Anrainer, sondern mit ferntouristischen Entdeckeraugen.
Mächtige Steinbauten wie der Mainzer Dom und die Massenmenschhaltung in den Großstädten flößten uns großen Respekt ein.

Das Wort "ver-rückt" hat eine neue, auf uns zutreffende sinnbildliche Bedeutung gewonnen. Subjektiv erleben wir das als große Bereicherung.
Manchem unserer Freunde bleibt dieser positiv empfundene Aspekt jedoch obskur und suspekt.

Das Thema ist vielschichtig und viel gäbe es dazu hier noch zu sagen.
Am liebsten im Austausch mit Anderen, die nach längeren Auslandsaufenthalten vielleicht Ähnliches (oder Anderes) empfinden.
Darauf freuen wir uns. :)

Liebe Grüße
Astrid & MArtin
Das Sein ändert das Bewusstsein
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viajero
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Heimgekehrt ...

Ungelesener Beitrag von viajero »

Hallo Martin & Astrid,

ich kenne euch zwar nicht persoenlich ...
wird eigentlich Zeit dafuer oder zumindestens fuer ein Telefonat ???

ich bleibe mal beim "Du"
Es spricht mir aus der Seele, schaue gerade wann du dieses geschrieben hast, am 25. Juni 2003, fast haette ich gesagt, genau ein Jahr nach meiner Rueckkehr aber dies stimmt nicht ganz es war der 25. Mai 2002 ;)

es erinnert mich wieder daran heimzukehren, wie es war ...
Einmal kurz dazu, ich habe mich gefreut wieder nach Hause zu kommen, "Zuhause" hat ein ganz andere Bedeutung bekommen, die Frage nach den eigenen Wurzeln kommt auf und bestaetigt sich - ich bin hier in Deutschland geboren, im Osten gross geworden ... ob ich hier auch sterben moechte, dass lasse ich offen. Aber Heimat hat jetzt eine ganz andere Bedeutung bekommen, es kommt ja auch von sich heimisch fuehlen. Davon ausgehend koennte man ja sagen, dass man sich auch woanders heimisch sozusagen zu Hause fuehlen kann. Aber dies sind keine 100 Prozent. Ein Teil von mir wird immer hier bleiben und dies finde ich auch gut so - never forget your roots !. Auf der anderen Seite kann ich mir gut vorstellen, woanders zu leben, fuer eine Zeit - die Zeitspanne lasse ich weit offen jedenfalls in Jahren gezaehlt.

Um wieder zum eigentlichen Thema zurueckzukehren, ich beobachtete alles durch eine rosarote Brille, als ich wiederkehrte, es war Sommer jaja und die Sonne lachte, die Freunde waren Freunde geblieben, Beziehungen beendet, neue begonnen, dass "Uebliche" eben. Die Schoenheit der eigenen Heimat begint sich zu erschliessen. Rund um Jena/ Erfurt laesst sich vieles Schoene entdecken und erkunden.

es war ja schon das 2. Mal fuer mich zurueckgekehrt zu sein. Wie du weisst, dass erste Mal nach einem Jahr Suedamerika 1996 und jetzt eben nach 20 Monaten unterwegs in Asien/Ozeanien. Gegensaetzlicher haette es wohl auch nicht sein koennen. Damals als 22 jaehriger wollte ich dieses schoene Venezuela nicht verlassen und ins kalte -10 Grad Deutschland des Februars 97 zurueckkehren. Es dauerte, bis ich mich von dem Schock erholte. Seitdem treibt mich der Kopf, wieder wegzufahren und wieder zurueckzukehren, Dinge anders anzupacken, mehr Menschen kennenlernen... es hoert niemals auf... ich plane inzwischen die 3. Reise, diesmal nicht allein, es kommt jemand mit

Aber ich muss nicht mit meinem Motorrad per Landweg nach Indien fahren, finde ich toll, ist aber nicht mein Ding, ich bin gern unterwegs, sei es per Bus, eigener Transport fuer eine Zeit oder eben per Daumen...

es gibt noch vieles zu sagen,
ich denke, dass ich noch etwas Schreiben werde in der Vorstellung der Mitglieder
Auf dem Tagebuch in Südamerika stand:
"Als der Rahmen des Moeglichen zu eng wurde, sprengte er sich und suchte das Weite"

André Diez
www.Der-Reisende.de
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gestein

Wiedereingliederung in den Alltag nach Langzeitreisen o.ä.

Ungelesener Beitrag von gestein »

Hallo zusammen,

man hatte mich gewarnt: Tu's nicht und wenn doch wird es nachher schrecklich sein!! Ich tat es ....

Ich war nur drei Monate mit dem eigenen Motorrad in Chile und Argentinien unterwegs Es war einfach klasse, nach wenigen Tagen vor Ort war Deutschland mit all seinem Trubel vergessen, die Rückkehr so weit weg.

Zurück in Europa: in Madrid traf ich dann auf die ersten deutschen Mallorca-Touristen, ein leichtes Unwohlsein beschlich mich, nach all der Gelassenheit in Südamerika Leute die morgens um sieben von Madrid aus per Handy wohlvernehmlich für alle Anwesenden schon das Taxi an den Düsseldorfer Flghafen bestellen..... :evil:

Kurz: die Infektion hält an, der Reisevirus hat mich voll erwischt, und dementsprechend ist meine Motivation, hier zu leben und zu arbeiten nach nunmehr fünf Monaten seit der Rückkehr immer noch arg gering. Vielleicht können andere das besser wegstecken, wenn ich so manchen Bericht hier im Forum lese, habe ich den Eindruck.

Mal sehen wie es weitergeht

Gerd
Pipsa
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Wiedereingliederung in den Alltag nach Langzeitreisen o.ä.

Ungelesener Beitrag von Pipsa »

Hallo gestein,

du sprichst mir aus dem Herzen. Wenn man längere Zeit erstmal wech ist und auf einmal trifft man wieder auf seine Landsleute, dann kann man das schon fast "Kulturschock" nennen. Dann nämlich nimmt man alles erst richtig war. Wie man sich damals verhalten hat, wie dieses Verhalten auf andere Menschen (anderer Kultur...) wirkt usw.

Das Beispiel mit Mallorca finde ich nicht schlecht. Wenn ich in London umsteige und auf den Flieger warte, sitzen auch schon etliche Deutsche mit mir dort und (leider) beschleicht mich dabei ein etwas unwohles Gefühl. Die Atmosphäre ist auf einmal ganz anders oder bild ich mir das alles nur ein? Sobald ich "zuhause" bin, betrete ich jedes Mal eine komplett andere Welt. Alles scheint mir so steril. Wieder alles nur Einbildung?

Übrigens mag ich es nicht, wenn Leute mir sagen, Irland könnte nicht mein Zuhause sein. Ich denke, dass "zuhause" ist, wo man sich wohl f↔hlt und dann gibt es noch etwas wie Heimat, wo man seine Wurzeln hat. Aber ich glaube, mittlerweile haben die Leute verstanden, dass ich wirklich an dieser Insel hänge und mich hier weitaus wohler fühle.

Gruss.
gestein
Kiebitz
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Wiedereingliederung in den Alltag nach Langzeitreisen o.ä.

Ungelesener Beitrag von gestein »

Hallo Pipsa,

da bin ich schon mal froh, dass ich offenbar nicht der einzige bin, der bei der Rueckkehr ein komisches Gefuehl hat. Kulturschock ist durchaus treffend, und manchmal sitzt der recht tief.

Aber so isses eben: die einen gönnen sich eine wunderschöne Erfahrung im Zusammentreffen mit Menschen anderer Völker und Kulturen, die anderen ziehen halt das gemütliche, mir zu eintoenige, Hotel- und Strandleben vor.

Wenn ich einen passenden Job haette koennte ich mir auch ein anderes als dieses "Zuhause" vorstellen - Wherever i lay my hat that's my home.
Soviel dazu....
Gerd
D'dorf
ewa
Kiebitz
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Wiedereingliederung in den Alltag nach Langzeitreisen o.ä.

Ungelesener Beitrag von ewa »

Hola -noch aus guatemala!
unsere gefuehle bezueglich der heimreise nach einem jahr schwanken von tag zu tag und je naeher dieser termin rueckt, desto mulmiger wird es mir.
ich freue mich schrecklich auf meine freunde, die ich doch sehr vermisst habe! in einem monat ist es soweit!! :)
allerdings kommt auch jetzt schon wehmut auf, weil mir doch sehr bewusst war in dem vergangenen jahr, wie gut ich es auf der reise hatte und wie priviligiert man eigentlich ist, soetwas grossartiges machen zu koennen. all diese freiheit, keine termine, keine festen plaene... ihr wisst was ich meine.
tja, was erwartet einen? ich hoffe, wir werden in kein allzugrosses loch fallen nach der ersten wiedersehensfreude!
vor der reise hatten wir die wohnung aufgegeben, die moebel stehen bei freunden im keller. also kein zuhause mehr! hmmm, wo werden wir wohnen? und das wonach ich mich nach dieser vagabundenzeit ziemlich sehne, ist ein eigenes heim, wenigstens ein zimmer irgendwo, aber halt MEINS.
das zweite, sicherlich groessere problem wird sein, wie in deutschland arbeit finden und wo! die jobs haben wir naemlich auch unterwegs gekuendigt, weil wir nicht wieder zurueck in den alten trott wollten. immernoch eine gute entscheidung, wie wir finden, aber doch recht unsicher.
am ende der reise ist die kasse ziemlich leer, man sehnt sich nach einem zuhause, das man so nicht mehr hat und braucht schleunigst einen job, um sich das teure deutschland leisten zu koennen.
da wirds einem schon manchmal etwas bange... und aus erfahrung weiss ich ja, dass ich so ein fernweh-typ bin... hoffentlich kriegen wir das alles gut hin!
wir geniessen jetzt noch die letzten wochen in diesem wirklich traumhaften land, mit eins der schoensten unserer reise und soooo empfehlenswert!!!!
viele gruesse von eva
riamo
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Registriert: 05 Mai 05 18:14

Re: Wiedereingliederung in den Alltag nach Langzeitreisen o.

Ungelesener Beitrag von riamo »

hallo ewa,

wie ist es denn dann letztendlich geworden? Ich hoffe wirklich ihr habt job und das ersehnte zuhause gefunden...

als ich nach 4 monaten ghana wieder heimkam (d. h. zu meiner familie) ist mir auch vor allem diese sterilität aufgefallen... wie sauber alles ist und ordentlich. und dass wir nach ghanaischen maßstäben super super reich sind, schon allein die 5-6 teesorten, wo ich mir doch in ghana jeden teebeutel einzeln gekauft habe. und wie praktisch eine waschmaschine ist, die hatte ich mit am meisten vermisst.
freundeskreis und familie schien auf den ersten blick ohne veränderung zu sein, aber nach und nach stellt man diese doch fest. vor allem aber auch, dass sie viele reiseerlebnisse, -erkenntnisse, -erfahrungen auch wenn ich noch so detailliert erzähle nie wirklich verstehen werden, wenn sie nicht selbst dorthin reisen, die welten sind einfach zu unterschiedlich..
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Petra
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Beiträge: 622
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Wohnort: Berlin

Re: Wiedereingliederung in den Alltag nach Langzeitreisen o.

Ungelesener Beitrag von Petra »

Hallo,
jetzt habe ich mal eine ruhige Minute und kann hier auch mal etwas zum Besten geben.
Nach ueber 12 Monaten bin ich im März von Südamerika nach Deutschland zurück gekommen. Geld war alle und ich hatte teilweise schon richtig Heimweh, besonders nach meinen Freunden.
Mein Glück war, dass ich schon eine Arbeitsstelle hatte, bevor ich nach Hause kam. Besonders finanziell ist das ein Glücksfall. Der Nachteil: ich hatte überhaupt keine Zeit mich richtig einzugewöhnen. Alles hat sich nach meiner Rückkehr überschlagen: Wohnung suchen, alle Freunde sehen und wieder vollzeit arbeiten.
Bisher bin ich begeistert und wirklich glücklich wieder im Kreise meiner Lieben zu sein. Berlin ist super und der Frühling kommt langsam, aber sicher.
Ein Jahr zu reisen ist ein riesen Glück, aber auch eine lange Zeit, besonders, wenn man nicht arbeitet.
Nächstes Mal werde ich auf alle Fälle irgendwo arbeiten und leben. Das kann ich mir besonders gut in Argentinien vorstellen.

Die Depression blieb bisher aus, obwohl ich doch oft an die Reise denke und mich an die besonders schönen Orte zurück wünsche, aber das ist wohl normal. Meine Einstellung ist, dass ich eh jederzeit wieder los kann, wenn ich das Bedürfnis habe, irgendwie bekommt man das schon hin!!!

Grüsse aus Berlin

Petra

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nikita
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Registriert: 25 Jul 04 13:32

Re: Wiedereingliederung in den Alltag nach Langzeitreisen o.

Ungelesener Beitrag von nikita »

hi leute,
wenn ich mir das alles so durchlese bekomme ich richtig angst.
ich bin nun schon eineinhalb jahre unterwegs und es wird wohl nochmal solang weitergehen. aber ende 2006 sollte ich aus persoenlichen gruenden retour nach oesterreich. alleine wenn ich daran denke meine stadt nach drei jahren wieder zu betreten, dreht sich mir der magen um. die vorstellung wieder einen alltaeglichen job in einer alltaeglichen umgebung zu haben und in ein "zuhause" zu kommen und jeden abend im selben raum zu sitzen versetzt mich in panik.

das einzige was ich mir immer wieder sage ist- als ich graz verlassen hatte, haette ich nie gedacht, das ich ohne die city leben kann. und nun bin ich seit fast 10 monaten in "the middle of nowhere" in canada, alaska und nun ireland. nun kann ich mir nicht mehr vorstellen wieder in einer stadt sesshaft zu werden.
ich kann nur jedem raten das fernweh ernstzunehmen, aber ich glaube nicht das man es stillen kann ;)

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