Hallo,
dann will ich auch von meiner Seite ein paar neue Aspekte einbringen.
Julchen hat geschrieben:Mein Freund hatte die Schule nicht fertiggemacht, konnte Englisch nur aus SmallTalk mit Touristen (was ich beachtlich fand, wie gut es dafür war, aber es war nicht gut genug, um uns über alles unterhalten zu können).
Auch wenn ich nun schon 5 Jahre beinahe am Stück in Russland lebe, so merke ich gerade jetzt in meiner Beziehung, wie viel Sprache mir eigentlich noch fehlt. Manchmal habe ich den Eindruck, ich lernte Russisch erst seit gestern. Vor allem Gefühle auszudrücken und die kleinen Details zu verstehen ist ein ganz schön hartes Brot. Aber es ist andererseits auch völlig natürlich, denn selbst wenn man viele einheimische Freunde hat, man geht doch selten bis ins allerletzte Detail.
Es ist eine ungeheuer große Sensibilität erforderlich, um sich gegenseitig richtig zu verstehen. Und mir ist es immer mehr ein Rätsel, wie sich manche Paare zusammenfinden, die zu Beginn ihrer Beziehung nicht die Muttersprache des anderen kennen oder manchmal sogar keine gemeinsame Ausweichsprache haben.
Ich spüre mit jedem Tag, wie ich erst jetzt so richtig in die russische Kultur (auch die schöngeistige) eintauche. Vieles konnte ich wohl bisher schon grob an Eigenarten umreißen, aber jetzt werden mir unglaublich viele Zusammenhänge klarer. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass mein Freund sich bisweilen zuerst gerne auf literarische Beispiele beruft, bevor er über sich direkt sprechen kann.
MArtins Buchtipp half mir zunächst zumindest auch nur sehr bedingt weiter. Ich bin auf ein völlig anderes, aber sehr fest gemauertes Weltbild gestoßen, das mir vorher nie so bewusst war. "Wir" als ganzes und ein "du", in das er sich hineinzuversetzen bemüht ist auf der einen Seite, gegenüber meinem "ich" und meinen Vorstellungen.
Ich kann darüberhinaus auch nicht erwarten, dass jemand, der noch nie (kulturell und erziehungsbedingt) über seine Gefühle gesprochen hat, mit einem Mal alle Jalousien fallen lässt. Genausowenig kann er meine Offenheit gleich richtig einschätzen.
Von dem Buch beflügelt habe ich (zuerst vielleicht zu heftig) versucht, ihn zum Reden zu bewegen. Er könne und wolle nicht und außerdem würden viele Worte eh immer nur falsch verstanden, ich solle lieber meinem Bauch und meinem Herzen vertrauen. Aber wie? - wenn ich doch in ihn nichts falsches hineininterpretieren will...
Teilweise enttäuscht gab ich auf und mit einem Mal war dann aber irgendwie klar, dass wir aus beiden Haltungen das positive rausholen können. Jetzt läuft es ausgesprochen gut. Irgendwie haben wir wohl einen guten Mittelweg gefunden.
Julchen hat geschrieben:Und ich fand es problematisch, dass sein ganzes Umfeld mich nur als reiche Europäerin gesehen hat und mich niemals voll angenommen hätte.
Ich glaube es geht nicht nur um "die reiche Europäerin". Das Umfeld wirkt vielfach sehr verunsichernd und verunsichert. Schräg wird beäugt, ob und wie man kocht, putzt, bügelt,...
oder überhaupt sich im Alltag bewegt, ob man sich in die Rolle einfindet, die einem die Gemeinschaft vorzuschreiben geneigt ist oder ob man seinen Stiefel durchziehen kann. "die macht ja alles anders"
Das habe ich jetzt weniger an mir als bei einer Freundin bemerkt. Und ich bin überzeugt davon, dass es zu einem guten Teil daran liegt, dass das familiäre Umfeld bis auf den Partner noch nie aus dem Dorf raus war. Es fehlt die Empathie-Fähigkeit auch etwas anderes als "nicht unnormal" akzeptieren zu können.
Liebe Grüße aus den "sibirischen Subtropen", viel zu warm für die Jahreszeit.
Eliane