Aktuelle Situation in Bolivien

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MArtin
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Aktuelle Situation in Bolivien

Ungelesener Beitrag von MArtin »

Gerade ruft Tino aus Bolivien an.
Irgendwie hängt er gerade auf dem Weg von Areqipa nach Cusco (?) in Bolivien in einem kleinen Bergkaff nahe Sorata fest:
Die Campesinos streiken, haben Straßenblockaden errichtet und lassen niemanden durch.
Seinen gebuchten Rückflug wird er, ebenso wie das Urlaubsende auf unbestimmte Zeit verschieben müssen.
(Uns soll's recht sein, denn solange kann ich noch am Rechner von DSL- Tino arbeiten.) ;)
Da sieht man doch mal wo es hinführen kann, wenn hier eine Frage über 2 Monate unbeantwortet bleibt und Mitglieder deswegen in die Irre laufen! ;)

Bin gespannt auf Tinos Bericht...
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Tino
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Richtig hart...

Ungelesener Beitrag von Tino »

Hallo,
gluecklich in La Paz !! 16 Stunden fuer 140 km! Steine ueber Steine.
Von den Haengen, auf der Strasse, Graeben, Baeume, Feuer, Waelle!! Ca.
200 Soldaten waren bei unserem Konvoi. Hubschrauber, Kampfflugzeuge
auch. Mehrere Tote, Gefaechte mit militanten Campesinos! Es war richtig
hart! Richtig gefaehrlich! Haeuserkampf in Warinata und wir im
Militaerkonvoi mittendrin!
In Sorinata brennt es. Unsere Wirtsleute und Freunde sind zur Zeit nicht mehr erreichbar! Wir hoffen, sie sind wohlauf.

Wir fliegen in zwei Stunden nach Lima. Bleiben dort ein oder zwei Tage.
Hoffen auf Flug nach Amsterdam fuer Dienstag. Mal sehen!

Gruesse

Anne & Tino
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Tino
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Ungelesener Beitrag von Tino »

Hallo allerseits,

inzwischen sind wir wieder glücklich und gesund daheim!! Noch ein Tip für alle Südamerikareisende: man sollte Bolivien derzeit meiden!! Es ist einfach zu unsicher!


Gruß


Anne & Tino
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Tino
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Eine Fahrt besonderer Art

Ungelesener Beitrag von Tino »

Hallo allerseits,

...wie schon von Martin zuvor angekündigt, hier ein etwas ausführlicher Bericht der Ereignisse in Sorata/Bolivien vom 14.9 bis 18.9.:

Am Sonntag, den 14.9. erreichen wir von Copacabana/Titicacasee her kommend nach ca. 3-4 stündiger Fahrt in einem völlig überfüllten kleinen Überlandsbus Sorata. Ein kleiner, beschaulicher Ort, unmittelbar vor dem 6.500 m hoch gelegenen Illiampumassiv gelegen und wegen seiner grandiosen Lage von vielen Bergsteigern geschätzt. Der Ort ist völlig überfüllt, da gerade das alljährliche Dorffest stattfindet und sich tausende von Campesinos von nah und fern in Sorata zum feiern aufhalten. Wir sind froh, das Spektakel miterleben zu können und verziehen uns dann am Abend glücklich aber kaputt in unsere Bleibe ca. 4 km außerhalb von Sorata. Dort erfahren wir auch am nächsten Morgen, daß die Campesinos völlig unvorhersehbar die Straße zurück nach La Paz blockiert haben und keinerlei Autos mehr durchlassen. Es geht um Erdgasexporte nach Chile und in die USA und um die Freilassung eines inhaftierten Campesinos, der in La Paz einsitzt.
Nachdem wir die Lage sondiert haben, beschließen wir, so viele Bar- Dollars wie möglich von der kleinen Bankfiliale in Sorata abzuheben, denn die Lage scheint sich zuzuspitzen und ohne Bargeld geht dann gar nichts mehr. Die nächsten Tage - eigentlich wollen wir schon am Dienstag zurück in La Paz sein - verbringen wir mit Warten. Ein Gerücht jagt das nächste. Von den zahlreichen Campesinos, die sich wegen des Dorffestes immer noch in Sorata aufhalten, machen sich viele zu Fuß auf den Weg - teilweise bis nach La Paz. Autos werden nicht durchgelassen - so auch ein kleiner Konvoi von ca. vier Autos, der nach mehreren Stunden wieder unverrichteter Dinge in Sorata zurück erscheint.
Erst am Freitag abend kommt Bewegung in die festgefahrene Lage. Uns erreicht ein Telefonanruf aus Sorata. Wir mögen noch in der Nacht nach Sorata kommen, da angeblich ein Militärkonvoi unterwegs nach Sorata sei, der die ca. 40 festsitzenden Traveller mitsamt den noch verbliebenen 200 Campesinos nach La Paz bringen soll. Also schultern wir unsere Rucksäcke und gehen noch in der Nacht nach Sorata, wo wir übernachten.

Die Situation ist verworren. Ausgerechnet am Samstag wollen die Campesinos auf dem Dorfplatz wegen der Blockade eine große Versammlung abhalten und ich bezweifle deshalb, daß der Militärkonvoi eintreffen wird. Aber ich werde eines besseren belehrt. Um ca. 9 Uhr erreicht der Konvoi mit ca. 300 hochgerüsteten Soldaten Sorata und die verbliebenen Campesinos und Traveller werden in etwa 15 bis 20 kleinere Busse verfrachtet. Alles geht sehr schnell und ist gut organisiert. Nach ca. 1 1/2 Stunden verlassen wir Sorata in Richtung La Paz.
Was wir noch nicht wissen: für die 150 km werden wir 16 Stunden brauchen! Die hier lebenden Campesinos sind wohl organisiert und ihre Führer scheinen alles daran zu setzen, den Durchbruch des Konvois zu verhindern. Auf der nicht asphaltierten Straße befinden sich unzählige Steine und auch größere Felsblöcke die erst einmal von den Soldaten und dem mitgeführten Bulldozer beiseite geräumt werden müssen. Zudem haben zahlreiche Campesainos die Berghänge besetzt und werfen von dort aus Steine und Felsblöcke auf die Straße. Also müssen von den Soldaten erst einmal die Berghänge gesichert werden, was unter Einsatz von Tränengas geschieht. So bewegt sich der Konvoi mal zwei bis drei km vorwärts, bleibt dann wieder eine Stunde stehen, bis die nächsten Hänge gesichert sind u.s.w. u.s.w. Die Berghänge sind voll vom Nebel der verschossenen Gasgranaten. Ich persönlich fühle mich jedoch - ganz im Gegensatz zu manch Mitreisenden - relativ sicher, denn die Aktionen sind professionell abgestimmt. Soweit ich das beurteilen kann, ist bis jetzt kein scharfer Schuß gefallen und die späteren Zeitungsberichte, die den Soldaten ein brutales Vorgehen vorwerfen werden, sind schlichtweg Stimmungsmache und Lüge. Hin und wieder tauchen im engen Tal zwei kleinere Militärjets auf, die dicht über unseren Köpfen hinwegdonnern und zusammen mit einem Hubschrauber wohl aufklären sollen. So bewegen wir uns Stunde um Stunde im Stop and Go vorwärts, bis wir gegen 17 Uhr Warisata erreichen. Im Ort scheint es heftigen Widerstand zu geben, denn wir warten ca. 1 1/2 Stunden vor Warisata und hören auch deutlichen Gefechtslärm. Es ist bereits dunkel, als wir Warisata passieren. Die kleine Dorfstraße wird durch ein Spalier von Soldaten gesichert und gespenstisch blicken uns die leeren Fensterhöhlen an - kein Einwohner ist zu sehen.
Wie wir am nächsten Tag aus der Zeitung erfahren, hat es in Warisata heftigen Widerstands gegeben und es wurde auch scharf geschossen. Die betrübliche Bilanz: sechs Tote und etliche Verletzte. Doch das wissen wir jetzt noch nicht. Wir sind heilfroh, Warisata hinter uns zu lassen und sehnen uns nach La Paz. Zwar geht es jetzt etwas schneller, aber mehr als 30 km/h schaffen wir kaum. Auf der jetzt asphaltierten Straße befinden sich immer noch unzählige Steine, die von den Soldaten beiseite geräumt werden müssen.
In Achacachi schließen sich eine Reihe weiterer Busse und Autos unserem Konvoi an, die alle die einmalige Gelegenheit nutzen wollen, um nach La Paz zu gelangen. Dort kommen wir dann auch gegen drei Uhr morgens an. Ganz La Paz ist von Soldaten gesichert und unser mittlerweile aus hunderten von Autos und Bussen bestehender Konvoi bewegt sich durch ein Spalier von Soldaten, bis wir dann irgendwann im Innenhof des Polizeipräsidiums ankommen, wo uns eine Heerschar von Kameras und Blitzlichter empfängt. Wir können es kaum fassen: wir sind in La Paz!



Tino
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